Eine kurze Geschichte des Privatfernsehens in Deutschland

Das Privatfernsehen in Deutschland entstand in den 1980er Jahren aus einer historisch gewachsenen Mischung wirtschaftlicher Interessen mit politischen Wunschvorstellungen. Unter den Auspizien der sprichwörtlichen „Deutschland AG“ wurden die Früchte des Wirtschaftswunders geerntet: In der eng untereinander verflochtenen, noch kaum unter direktem ausländischem Einfluss stehenden einheimischen Industrie hatten sich Firmenwohl und Gemeinwohl eng mit einander verschränkt. Der erwirtschaftete Reichtum war großzügig in Wohlstand für Viele umverteilt worden. In den Medien dominierten neben den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Verlagshäuser wie die Rudolf Augsteins oder Axel Springers, die von einer weltanschaulichen Mission geprägt waren und für die das Geschäft erst an zweiter Stelle kam. Es erschien schwer denkbar, dass Medien etwas anderes als staatstragend sein konnten.

Furcht vor dem Privatfernsehen

Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde der entstehende kommerzielle Rundfunk mit großem Misstrauen und Vorsicht organisiert. Man nahm wie selbstverständlich an, dass sich politische Strömungen, Parteien oder ideologisch geprägte Unternehmer seiner bemächtigen wollen würden, um die Bevölkerung auf ihre jeweiligen Standpunkte einzuschwören. Zwei Denkfiguren, die sich bis heute hartnäckig halten, entstanden in dieser Zeit.

Deren erste besteht darin, dass dem Fernsehen eine besondere Suggestivkraft zu Eigen sei. Das entsprach zweifellos der damaligen konkreten Erfahrung. ARD und ZDF waren konkurrenzlose, mächtige und politisch umkämpfte Leitmedien; nur durch sie konnten große Bevölkerungsschichten wirkungsvoll mit politischen Inhalten erreicht werden. Dass sich dieser überwältigende Einfluss des Mediums Fernsehen durch Fragmentierung, also ein größeres Angebot von Sendern, relativieren könnte, war nur schwer vorstellbar.

Die zweite nachhaltige Einstellung, die aus den Achtzigern überkommen ist, besteht in der Fixierung der politischen Sphäre auf Nachrichten und Informationsprogramme. Diese gehörten zum selbstverständlichen Kernbestand des öffentlich-rechtlichen Programms der Nachkriegszeit, und Fernsehen wurde paradigmatisch als lediglich ein weiterer Kanal der medialen politischen Auseinandersetzung verstanden. Unter solchen Umständen galt es vielleicht, einem „Unterhaltungsslalom“ der Zuschauer entgegenzuwirken, doch dass privater Rundfunk im Prinzip die Kommunikationsfunktion seines öffentlich-rechtlichen Vorbildes mit kommerziellen Mitteln fortschreiben würde, schien außer Frage.

Das Nullmedium

Überrascht rieb sich das Establishment die Augen angesichts des tatsächlichen Programmangebots im frühen Privatfernsehen. Statt politisch aufgeladener Information gab es erst einmal Tingeltangel auf seinerzeit unerhört niedrigem Niveau, wie es Hans Magnus Enzensberger 1988 in seinem berühmten „Nullmedium“-Essay beschrieben hat. Mit wenigen Ausnahmen waren Nachrichten und Magazine von Beginn an eher eine Appeasement-Strategie gegenüber der Medienaufsicht, denn Ausdruck genuinen publizistischen Interesses der Veranstalter.

Und dennoch schien das junge Privatfernsehen ein Versprechen zu enthalten. Gestützt durch das 4. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1986, das an die Kommerziellen weniger strenge Maßstäbe für Information, Bildung und Kultur anlegte als an die Öffentlich-Rechtlichen, übte man sich erst einmal in Nachsicht. Tatsächlich verbesserte sich mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg der Branche auch die Qualität der Programme. Die Neunziger erwiesen sich als das goldene Jahrzehnt des Privatfernsehens. Wachsende Investitionen in Inhalte wurden mit immer höheren Einschaltquoten und Einnahmen belohnt, und die Sender konnten sich einen gewissen Anteil an Nachrichten und Fensterprogrammen leisten.

Sendergründungen wie n-tv und das als Informationskanal zunächst gescheiterte VOX, sowie später auch N24, gingen freilich schon damals letztlich auf Marktdurchdringungsstrategien der Medienkonzerne, jedoch kaum auf inhaltliche Visionen zurück. Denn es galt noch das Beteiligungsmodell der Konzentrationskontrolle: Sender durften nur von Veranstaltergemeinschaften betrieben werden, in denen kein einzelner Gesellschafter über eine absolute Mehrheit verfügte, von Alleinbesitz ganz zu schweigen. Wenn die Konzerne ihren Marktanteil auf dem Fernsehsektor steigern wollten, reichte es daher ab einem gewissen Punkt nicht mehr, einzelne Sender auszubauen, sondern es mussten Beteiligungen an immer mehr verschiedenen Sendern eingesammelt werden.

Konzernstrukturen und Globalisierung

Die zersplitterte Gesellschafterstruktur der TV-Veranstalter, mit vielen wirtschaftlich und praktisch hoffnungslos überforderten Verlagshäusern unter ihnen, erwies sich bald als ein für die Praxis untauglicher Restbestand der auf Konsens bedachten „Deutschland AG“. Beim Privatfernsehen hatten, der ursprünglichen Idee zufolge, alle alteingesessenen Mitspieler der Medienbranche mitmachen und sich gegenseitig die Waage halten sollen. Doch deren widerstreitende Partikularinteressen lähmten die Entwicklung der Sender; die Medienkonzerne um Kirch und Bertelsmann strebten dagegen nach Konsolidierung und Alleinherrschaft in den sich abzeichnenden Senderfamilien.

Als der 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrag 1997 das Beteiligungsmodell durch das Zuschaueranteilsmodell ersetzte, zeichnete sich ein Paradigmenwechsel der Medienregulierung bereits ab. Dem Wunsch der großen Medienkonzerne entsprechend, darf ein Eigentümer seither beliebig viele Fernsehsender kontrollieren, solange er mit allen zusammen einen bestimmten Zuschauer-Marktanteil nicht übersteigt.

In der Zwischenzeit hatte sich die „Deutschland AG“ weitgehend aufgelöst, und mit ihr hatten sich die Konsensgesellschaft der Nachkriegszeit und das Verständnis von sozialer Marktwirtschaft grundlegend gewandelt. Wirtschaftliche Globalisierung und fortschreitende europäische Integration öffneten deutsche Unternehmen für ausländische Investoren (und umgekehrt), mit der Folge, dass der Shareholder Value, also das monetäre Gewinninteresse der Eigentümer, einen höheren Stellenwert erhielt als die unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft auf einem Heimatmarkt.

Dieser Wandel verschonte auch die kommerziellen Medien nicht. Selbst der Axel-Springer-Verlag versteht sich längst nicht mehr als Ideologieproduzent, sondern bedient jederzeit auch den ehemaligen politischen Gegner, solange es sich nur wirtschaftlich auszahlt. Weit tiefgreifender noch wirkte sich das Auftreten von Hedge Funds und Private Equity aus. Diese reinen Kapitalinvestoren internationaler Ausprägung sind alles andere als traditionelle Verleger; ihnen ist es gleich, ob sie ihren Gewinn mit einer Schraubenfabrik oder einem Fernsehsender mehren. Es gehört zur Natur von Kapitalinvestoren, dass sie keine Verbundenheit mit einzelnen Staaten, Branchen oder Unternehmen kennen.

Nach der Medien- und Internetblase

Die nächste Wegmarke kam schließlich mit der Konjunkturkrise nach dem Platzen der Internet-Blase und den Anschlägen vom 11. September 2001 in Sicht. Das Privatfernsehen in Deutschland büßte damals rund ein Fünftel seiner gesamten Netto-Werbeerlöse ein, knapp eine Milliarde Euro. Dieses Geld hat die TV-Branche bis heute nicht zurückgewinnen können; im Gegenteil stagniert seither der Fernseh-Werbemarkt, während zugleich immer mehr Kanäle um den Kuchen konkurrieren und sich dem neuen Wettbewerber Online ausgesetzt sehen.

Die Konsequenz: Wenn ein Fernsehunternehmen seine Gewinne steigern oder auch nur halten will (und das muss es, um seine Investoren bei Laune zu halten, ob sie nun Permira heißen oder Bertelsmann), bleibt ihm nur eine Möglichkeit, nämlich Sparen. Wer mehr Geld in die Hand nimmt, um ein besseres Programm zu produzieren, wird dafür längst nicht mehr finanziell belohnt.

Die Folgen sind jeden Tag beim Einschalten des Fernsehers offenkundig: Das Nullmedium ist zurück.

Thanks Flickr user duncan for the photography.

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